Jesse erwachte wieder mit einem dröhnenden Kopf. Er tastete seine Stirn ab, aber nur das Hirn dahinter pochte wie wild an dem Knochen. Der Junge fühlte sich schrecklich. Dabei hatte der Tod ihn nur weggerissen. Und jetzt lag er in einer Zelle und wartete. Vielleicht würde ja irgendwann mal jemand vorbeikommen. Jesse fühlte sich jetzt schon einsam, dabei war er vielleicht gerade mal ein oder zwei Stunden alleine. Und keiner weilte in seiner Umgebung, der ihm hätte Gesellschaft leisten können. Jesse öffnete den Mund und summte eine leise Melodie. „Zwei Schritte von der Hölle entfernt…“ Irgendwann schloss er die Augen und fiel in einen unruhigen Schlaf.

Ein Schweißgerät sprühte Funken. Der Mann, der es führte, hatte eine Maske angezogen, damit die Funken nicht sein Gesicht verbrennen konnten. Das war ein wirklich fieses Gefühl, das wusste der Mann. Er hielt inne und mit entschlossenem Gesicht schaltete er das Gerät aus und hob die Maske an. Das Gesicht Locor Narcanas kam zum Vorschein. Er beäugte das Werkzeug, das er schon immer zusammenbauen wollte, mit kritischem Blick. Es war gut geworden und Locor legte das Schweißgerät und die Maske beiseite. Dann griff er zu den vier Arkana und legte sie in einer Reihenfolge nebeneinander vor sich auf den Tisch – das Werkzeug, das der Erfinder soeben gebaut hatte, daneben.

Erde

Feuer

Luft

Wasser

Und alle Arkana schwiegen. Keiner sagte ein Wort. Erst, als Locor seine Stimme erhob, redeten die Arkana durcheinander. Aber der Ton hallte nicht im Kopf Locors, sondern kam direkt aus seinem Mund. Als vierstimmiger Gesang, der nicht mehr als ein Wispern war.

Endlich!, hauchte der Erfinder. Endlich sind wir vereint, meine Lieben. Wie habe ich euch vermisst.

     Und wir dich.

     Ja. Wir kennen dich noch.

     Wie du uns damals im Stich gelassen hast.

Aber Themma… Sie hat mich zur Verantwortung gemacht!

     Und dann sperrst du uns ein… In vier metallene Gegenstände…

     Mir war sehr kalt im Südlichen Eisgebirge…

     Und so stickig in der Kanalisation…

Meine lieben, lieben Freunde… Wie können meine Taten jemals vergolten werden? Ich wollte die Kanzlerin schädigen und habe euch mitgerissen!

     Weil wir es wollten.

     Aber dann ging es zu weit… Du hast uns umgebracht!

     Aber, ach Locor… Weißt du… Wir haben dich schon vermisst.

     Und sind sehr froh, dass du uns wieder zusammengebracht hast…

     Die fünf Rächer…

     Die Concordiatoren!

     Endlich können wir die Kanzlerin vernichten…

Nein.

     Wie? Wie meinst du das?

Nein… Ich kann nicht… Das tut mir sehr leid…

     Du bist ein Verräter!

Kann sein… Ihr wolltet immer mehr, als nur Rache!

     Ja. Und du weißt warum!

Das habt ihr mir bereits erzählt!

     Das war so abgemacht! Du hilfst uns mit deinen Erfindungen und wir erzählen dir alles und helfen dir an die Macht zu kommen!

     Ja!

Ich weiß… Aber jetzt wo ich jahrelang in der Unterwelt war… Ich schaffe es nicht und will es auch gar nicht mehr. Ich will den Rest meines Lebens genießen! Und ohne mich seid ihr sowieso machtlos!

     Locor ließ ein Lachen ertönen. Ihr könnt mich nicht zwingen, Freunde!

     Wofür haben wir all die Jahre gekämpft?

Um Themma zu stürzen…

     Und dann können wir uns gleich die Macht aneignen…

     Genau, Locor!

Ich will aber nicht mehr! Und, dass ihr tot seid ist nicht mein Problem… Ihr könnt gar nichts gegen mich ausrichten!

     Du falsche Schlange!

Damit schwiegen die Arkana wieder und Locor schloss den Mund.

     „Was war das denn?“, fragte Acia. Locor wirbelte blitzschnell herum.

     „Was war was?“, erkundigte er sich schulterzuckend.

     „Das Gespräch gerade. Der Monolog. Was meintest du damit?“

„Nichts.“ Er sah auf seine Füße. „Aber was hat dich das anzugehen? Ihr Kleinen wollt nur Themma Tighhoor umbringen und das war es. Dafür braucht ihr mich! Und wen ich mich weigere, steht ihr dumm da. Siehst du, Acia! Ihr Controller hängt immer von anderen ab. Nie könnt ihr etwas alleine machen, da immer jemand da ist, der alles wieder vernichten kann!“ – „Dann helfen Sie uns“, forderte Acia. „Bauen Sie die Arkana zusammen.“

     „Gern“, sagte Locor. „Aber dafür verlange ich etwas.“

     „Was denn?“, erkundigte sich die Anführerin der Controller.

„Das werdet ihr noch zu Zeiten sehen. Das versichere ich euch.“ Seine Lippen umspielte ein listiges Grinsen, das Acia nicht zu deuten verstand, weshalb sie die anderen Controller weckte, da es bereits Morgen war.   „Was denn?“, fragte Josh schläfrig. „Jesse. Lass mich doch noch fünf Minuten schlafen!“ Da fiel ihm ein, dass er Jesse eigentlich immer weckte und er schlug verwirrt die Augen auf. Erst nach einigen Minuten wusste er, wo er war, und dass sein Bruder nicht da war. Stattdessen beugte sich Acia über den Jungen. „Alles in Ordnung?“ – „Klar“, murmelte Josh und erhob sich. Dann weckte er mit Acia zusammen die anderen Controller. In Kürze standen neun Kinder um den Werktisch im Zentrum der Halle Locor Narcanas und betrachteten seine Arbeit. Zwar hatten einige von ihnen Hunger, äußerten dies aber nicht, da sie den Erfinder bei seiner Arbeit nicht stören wollten. Etwa zwei geschlagene Stunden später war Locor Narcana mit seiner Arbeit fertig. Er hatte das Gerät, was er zusammengebaut hatte, zur Verschraubung und Verlötung benötigt, damit die vier Arkana eine Einheit bilden konnten.

     Das Arkanum des Feuers hatte ein Zahnrad zum Funktionieren beigesteuert.

     Das Arkanum des Wassers das Ziffernblatt mit Zeigern.

     Das Arkanum der Luft ein weiteres, etwas größeres Zahnrad.

     Und das Arkanum der Erde den Motor samt Gehäuse.

Und die Zeiger drehten sich. „So“, sagte Locor geheimnisvoll. „Jetzt bin ich fertig.“

     „Und was soll diese Uhr können?“, fragte Acia und besah das Ziffernblatt mit Desinteresse.

„Nun“, erwiderte Locor Narcana ein wenig beleidigt. „Du kannst damit die Zeit langsamer verlaufen lassen. Deshalb ist Circur auch auf einem gigantischen Uhrwerk errichtet. Mit dieser Uhr kannst du das langsamer laufen lassen, was zwangsläufig dazu führt, dass die Zeit hier langsamer verläuft. Momentan dreht sich das Uhrwerk sehr langsam. So langsam, dass man es nicht merkt.“ – „Aha. Und was ist der Grund, dass ich immer, wenn ich aus dem Fenster schaue, immer dieselbe Landschaft sehen?“, fragte Iris herausfordernd. „Ja“, sagte der Erfinder gedehnt. „Das kann ich euch leider nicht sagen, weil ich diesen ganzen Uhrwerkquatsch nicht konstruiert habe.“

     „Was ist mit der Welt außerhalb des Uhrwerks?“, fragte Dillion neugierig.

     „Das musst du schon die Händler fragen“, sagte Locor. „Diese Frage kann ich dir nicht beantworten.“

„Dann will ich mal nicht weiter nachhaken“, antwortet Dillion, hatte aber insgeheim vor, es einmal selbst auszuprobieren. Acia bemerkte wieder dieses listige Grinsen in Locors Gesicht, aber versuchte, es anders zu deuten, als sie befürchtete. „Was müssen wir jetzt tun?“, fragte sie. „Das“, sagte Locor leise. „Müsst ihr selbst entscheiden. Ich kann euch nicht mehr helfen.“ Und meine lieben Freunde haben ihre Entscheidungsfreiheit verwirkt, fügte er in Gedanken an, ihr könnt nichts mehr sagen! Und das stimmte. Sobald Locor sie alle zusammengesetzt hatte, waren sie endgültig tot. „Gut“, sagte Jason. „Dann können wir uns heute Abend wieder vor Ihrem Haus treffen. Wenn alles gut geht!“

     „Gern.“ Locor wandte sich ab. „Dann, bis heute Abend!“

Er marschierte mit einem stummen Lachen auf den Lippen in die eine Richtung davon, auf eine Maschine zu, die Controller in die andere Richtung die Wendeltreppe hinauf und durch den Keller in den ersten Stock und ins Freie.

     Schließlich hatten sie eine Kanzlerin zu bekämpfen.

     Und das noch vor Sonnenuntergang.

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